Freundschaft in der Lehre des heiligen Josefmaria
in phÄnomenologischer Methode


Viel wurde schon über Freundschaft geschrieben1, aber nur wenigen ist es gelungen, Substanzielles in das hineinzutragen, was Freundschaftsbeziehung ausmacht. Dass das so ist, scheint vorerst auch nicht verwunderlich, da einen Freund zu haben, einen Freund zu gewinnen und Freundschaft zu pflegen unmöglich ist, ohne ein Stück von sich zu geben. Solche Vorgänge, wenn sie echt sein sollen, fordern von ihrem Innersten her Vertrauen und oft haben daher Freundschaftsbeziehungen in vertrauensbildenden Maßnahmen ihren Ausgangspunkt. Eine ehrliche Aussage, verlässlich sein, nicht einseitig über Ereignisse berichten – das können durchaus Schritte sein, die ein Klima des Vertrauens entstehen lassen. Freundschaft entsteht aus aufrichtigem, gegenseitigem Vertrauen. Sie muss sich dann auf Dauer bewähren, auch in der gegenseitigen Bereitschaft zum Verzicht um des anderen willen. Sie ist von Grund auf nicht ausgerichtet auf Besitz oder Eigennutz. Ein kleines Beispiel dafür finden wir darin, dass in den Berichten über die Gemeinschaft der jungen christlichen Kirche, „neben den Beschreibungen des harmonischen Zusammenlebens der ersten Christen auch die Seiten nicht fehlen, die davon berichten, wie ab und zu Wolken über ihrem Frieden aufzogen, sei es aufgrund der Verfolgungen, des Unverständnisses der Umgebung oder sogar wegen des unangemessenen Verhaltens einiger Gemeindemitglieder.“2

Für normale Bürger auf dieser Welt bleibt Freundschaft im persönlichen, privaten Bereich verankert und – das muss gleich dazu gesagt werden - gut verankert. Der Beitrag des einzelnen zur Freundschaft zielt auf die unmittelbar befreundete Person und findet in der freundlichen Antwort des anderen sein Ziel und seine Erfüllung. Echte Freundschaft bleibt „bezüglich des Gehaltes des Erlebnisses, dem Erlebtwerden (dem Fühlen der Freundschaft) und dem Bewußtsein von dem Erleben“3 durch und durch persönlich. Freundschaft aus diesem Verständnis- und Erlebnisrahmen herauszuzerren würde die Freundschaft im selben Augenblick aufheben. Selbst die im öffentlichen Raum üblichen Gesten der Umarmungen und Wangenküsse oder die zahllosen Begegnungen auf Facebook oder YouTube u.a. Social Media als Freundschaften zu bezeichnen, erscheint also widersprüchlich. Das darf nicht dahingehend verstanden werden, dass „meine Freundschaft niemand etwas angeht“ oder dass „niemand mich versteht“. Wie Edith Stein einräumt, kann „das Bewußtsein von dem Erleben [der Freundschaft] evtl. in eine Reflexion übergehen, die das Erlebnis zum Gegenstand macht“4, über den natürlich eine Verständigung untereinander und mit anderen Personen möglich ist, ohne dass die ursprüngliche Freundesbeziehung aufgehoben oder Vertrauen auch nur im Geringsten gestört wird5.

Auch der wertvollste Mensch - für den gläubigen Christen lenken wir hier den Blick auf andere geisterfüllte Menschen, denen die Aufgabe zufällt, zu Christus zu führen, ja wir blicken im Eigentlichen auf die Person Jesu Christi, des menschgewordenen Sohnes Gottes - kann dieses natürliche Grundgesetz nicht aufheben. Was im familiären, persönlichen Vertrauen ausgetauscht wird, lässt sich nicht in eine öffentliche, politische, vor-politische, institutionelle Vernetzung überführen, ohne selbst großen Schaden zu erleiden und zu verursachen; selbst Gott kann und will solche Beziehungen des persönlichen Vertrauens nicht ihres Wesens berauben, sondern nimmt sich vielmehr ihrer liebend an.6  Gott kann aber doch eine solche Freundesbeziehung auf die Ebene der Gnade erheben, sie heiligen - und das einfach, weil es ihm so passt! Wie vom Leben Christi und dem Leben der ersten Christen bezeugt wird, hat Gott das auch tatsächlich und wirklich getan. Er ist in die Freundesbeziehung eingetreten und hat uns darin ein Beispiel gegeben: Vielmehr habe ich euch Freunde genannt, denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe (Joh 15,15). Diese Freundschaftstat trägt den Charakter eines Prototyps. Sie ist völlig neu und kann gleichzeitig unendlich oft und getreu nachvollzogen werden; sie ist im Eigentlichen auch genau dafür bestimmt: Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe (Joh 13, 15).

 

Christus tut etwas und er benennt es zu Recht mit dem bekannten Begriff Freundschaft. So erfährt die Freundesbeziehung von Gott her eine neue inhaltliche Ausgestaltung, ohne die menschliche Gestalt zu verlieren, wie sie etwa schon Aristoteles in der Nikomachischen Ethik mit pädagogischer Absicht vorgelegt hatte7. Freundschaft nimmt nicht von einer gegenseitigen Nutzenbeziehung  – im besten der Fälle eine „Winn-Winn“ Situation - Maß; sie wird nicht durch das beispielhafte, makellose, harmonische Verhalten gegenüber dem Anderen verwirklicht, sondern durch die Nachahmung des Beispiels Christi, das darin besteht, das Gute für den anderen zu erwirken und bereit zu werden, freiwillig für den anderen aus Liebe zu Gott Vater zu leiden. Also das ist das Beispiel, welches Christus den Menschen gegeben hat, damit auch sie so handeln. Niemand wird Freunde gewinnen, indem er dem anderen Leid zufügt. Viele Freunde hingegen wird gewinnen, wer für andere leidet.

 

Die Menschen, die dieses Beispiel zu Lebzeiten Christi unmittelbar empfangen, sind Leute mitten in der Welt, die einem gewöhnlichen Beruf nachgehen, die ja sagen zu einer lauteren menschlichen Liebe8 und eine Familie gründen oder begründeterweise auf eine solche Liebe verzichten, um ausschließlich und leidenschaftlich der Liebe Gottes zu entsprechen9. Alle werden befähigt, diese neue Art der Freundesliebe einzugehen.

 

In seinen Schriften hat der hl. Josefmaria diese Wirklichkeit aufbereitet und einen selbst von Christen oftmals unbedachten Zugang zur Freundschaft erschlossen. Die Freundesbeziehung zwischen Menschen wird  dort mit der Liebe Gottes in Verbindung gebracht. Freundschaft wird aber der Liebe Gottes keineswegs untergeordnet, noch weniger wird sie ihr übergeordnet, denn Gott ist die Liebe: Es gibt keinen anderen außer ihm, und ihn mit ganzem Herzen, ganzem Verstand und ganzer Kraft zu lieben und den Nächsten zu lieben wie sich selbst, ist weit mehr als alle Brandopfer und anderen Opfer. (Mk 12, 32-33) Freundesbeziehung bleibt aber auch nicht nur irgendwie der Liebe zu Gott beigeordnet, etwa nach der Auffassung: neben der Beziehung zu Gott und – im Fall der Eheleute – auch neben der Liebe zu meiner Frau/meinem Mann, pflege ich außerdem – wenn es mir danach ist - Freundschaften verschiedener Art.

 

In einem Christen, in einem Kind Gottes, bilden Freundschaft und Gottesliebe eine einzige Realität: sie sind Licht Gottes, das Wärme spendet.10 Echte Freundesliebe bewegt im Innersten, Gott zu erkennen und anzuerkennen, und es gibt keine echte Liebe zu Gott, wenn eine Freundschaft aus Lust, Stolz oder Eitelkeit – mit einem Wort aus Beliebigkeit - vernachlässigt wird.

 

Bilden Freundschaft und Gottesliebe eine einzige Realität, dann enthält eine Freundschaft göttliches Licht! Der hl. Josefmaria wurde in unserer Zeit dazu berufen, in seiner Verkündigung  alle Menschen aller Zeiten auf die Freundschaft in diesem Licht hinzuweisen. Das ist auch der Weg der Liebe zu Gott, den viele persönlich einschlagen und der sich in der Gestaltung der Beziehung von Freund zu Freund, in der familiären und in der politischen Gemeinschaft niederschlägt. In der Lehre des hl. Josefmaria treffen wir dazu auf den Ausdruck Apostolat der Freundschaft und des Vertrauens11. Der Inhalt dieser hier umschriebenen Wirklichkeit wird von den Leuten, die mit dem Geist des Opus Dei in Berührung kommen, aufgefasst und weitergegeben.12

So kommt gerade die ursprüngliche Charakteristik der Freundschaft, die seit Menschengedenken besteht und im christlichen Geist eine ungeahnte Stütze findet, durch die lebendige Verkündigung des hl. Josefmaria heute zur Geltung.

 

Salzburg, am 4.4.2015

 

 

Bibliographie

Aristoteles. Nikomachische Ethik. Reclam.

Burkhart, E., & López, J. (2015). Alltag und Heiligkeit in der Lehre des heiligen Josefmaria. Studie zur spirituellen Theologie (Bd. 1). (W. Mühlöcker, Übers.) Köln: Adamas Verlag.

Echevarría, J. (2015). Pastoralbrief Mai. Rom.

Escrivá de Balaguer, J. (1977). Christus begegnen. Köln: Adamas.

Escrivá de Balaguer, J. (1989). Die Spur des Sämanns (2. Ausg.). Köln: Adamas Verlag.

Escrivá de Balaguer, J. (1981). Gespräche mit Msgr. Escrivá de Balaguer (3. Ausg.). Köln: Adamas.

Escrivá de Balaguer, J. (1989). Im Feuer der Schmiede (2. Ausg.). Köln: Adamas Verlag.

Rhonheimer, M. (2009). "Ihr seid das Licht der Welt". Das Opus Dei - jungen Menschen erklärt. Köln: Adamas.

Schmidt, A. (2012). Gibt es Freundschaft? Köln: Adamas.

Stein, E. (2010). Beiträge zur philosphischen Begründung der Psychologie und der Geisteswissenschaften (Bd. 6). Freiburg im Breisgau: Herder.

1 Vgl. (Schmidt, 2012)

2 Vgl. (Echevarría, 2015), Pastoralbrief 1.5.2015.

3 (Stein, 2010), 114.

4 Ebd.

5 Ebd.: „Wenn ich einen Freund verliere, so trifft dieser Verlust mich wie keinen anderen Menschen und entsprechend kommt der Sinngehalt der Trauer, die diesem Verlust gebührt, meinem und nur meinem Erlebnis zu.“ Dasselbe gilt natürlich zuerst im Positiven, wenn ich einen Freund gewinne; der Gewinn trifft mich, wie keinen anderen Menschen und entsprechend kommt der Sinngehalt der Freude, die diesem Gewinn entspricht, meinem und nur meinem Erlebnis zu.

6 Vgl. Joh 15,14: Ihr seid meine Freunde.

7 (Aristoteles), Nikomachische Ethik, III, b: Es gibt demnach drei Arten der Befreundung. (…) Diejenigen, deren Zuneigung ihren Grund im Vorteil findet, lieben den anderen um des eigenen Vorteils willen, und diejenigen, bei denen sie auf der Aussicht auf Annehmlichkeit beruht, lieben ihn um ihres Vergnügens willen (…).Die vollkommenste Zuneigung aber ist die, die Menschen von edler Art und gleicher sittlicher Gesinnung verbindet. Diese wünschen einander als Menschen von edler Gesinnung gleichmäßig alles Gute, und von edler Gesinnung zu sein macht ihr Wesen aus. Das aber bezeichnet die innigste Freundschaft, den Freunden alles Gute zu wünschen rein um ihrer selbst willen; denn da gilt die Zuneigung der Persönlichkeit selbst abgesehen von Nebenrücksichten.

8 (Escrivá de Balaguer J. , 1981), Nr. 121: „… mich einen Augenblick bei einem anderen Aspekt des alltäglichen Lebens aufhalte, der mir ganz besonders am Herzen liegt. Ich meine die menschliche Liebe, die lautere Liebe zwischen Mann und Frau in Brautstand und Ehe.“

9 (Escrivá de Balaguer J. , Christus begegnen, 1977), Nr. 5.

10 (Escrivá de Balaguer J. , Im Feuer der Schmiede, 1989), Pkt. 565.

11 (Escrivá de Balaguer J. , Die Spur des Sämanns, 1989), Pkt. 192.

12 (Rhonheimer, 2009), 150: „Wenn man zum Opus Dei kommt – jedermann wird diese Erfahrung bestätigen können -, bewirkt das Ja zu dieser Einladung des Herrn in seinem Innern eine klare Veränderung. (…) Der Umgang mit den eigenen Freunden oder Berufskollegen erhält eine neue Dimension. Man beginnt seine Mitmenschen auf eine neue Art zu lieben, mit der Liebe Christi, …“





 

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